Yoga

Michaela Kleber

Yogalehrerin

click click

Macht Yoga glücklich?

von Michaela Kleber

Vor kurzem schrieb mir eine Kursteilnehmerin über ihre Erfahrungen mit Yoga: Ich „bin dann ganz bei mir und gehe immer selig aus der Kursstunde“. Diese wunderbare Rückmeldung hat mich auf die Idee gebracht, darüber zu schreiben, ob Yoga glücklich macht und wie genau das geschieht.

Im Hier und Jetzt sein

Ein Teil der Antwort ist in der ersten Hälfte des zitierten Satzes schon enthalten: „Ich bin dann ganz bei mir“, also nicht in Gedanken und Vorstellungen, nicht in Erinnerungen an die Vergangenheit, nicht in Erwartungen, Hoffnungen oder Befürchtungen, die sich auf die Zukunft beziehen, sondern in der unmittelbaren Wahrnehmung meiner selbst. Am Anfang einer jeden Yogastunde bringen wir die Aufmerksamkeit nach innen, zum Körper und zum Atem. Wir gehen vom Denken ins Spüren, oder „vom inneren Arbeitszimmer ins innere Wohnzimmer“, wie Yogi Amrit Desai in meiner ersten Yogalehrer-Ausbildung zu sagen pflegte. Spüren können wir nur das, was hier und jetzt geschieht. Diese innere Hinwendung zum Spüren ist also immer ein bewusstes Versammeln der Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Moment.

Gedanken und Vorstellungen, die sich auf Vergangenheit und Zukunft beziehen, machen einen großen Teil unseres Leidens an der Welt aus. Von Mark Twain stammt der Satz: „Ich habe in meinem Leben schon unzählige Katastrophen erlebt – die wenigsten davon sind tatsächlich eingetreten.“ Dem könnte man hinzufügen: Auch bei den Katastrophen, die tatsächlich eintreten, rührt der größere Teil des Leidens von unserer inneren Reaktion darauf, von den Geschichten, die wir uns innerlich dazu erzählen und den Emotionen, die an diesen Geschichten hängen. „Ganz bei mir sein“ heißt also nicht in meinen Geschichten schwelgen, sondern bei der unmittelbaren Wahrnehmung dessen bleiben, was jetzt geschieht. Und genau das üben wir in jeder Yogastunde, wenn wir immer und immer wieder versuchen, in der Körperwahrnehmung zu sein, jede Einzelheit von Atem und Bewegung bewusst zu spüren.

Sich im Körper gut fühlen

Diese Achtsamkeit in der Bewegung ist der Schlüssel zum körperlichen Wohlgefühl. Anstatt im Geist etwas zu wollen und vom Körper zu erwarten, dass er entsprechend funktioniert, wie das im Alltag häufig geschieht, suchen wir im Yoga nach der Variante einer Haltung oder Bewegung, die der Körper leisten kann, ohne sich Schaden zuzufügen.

Die häufige Wiederholung von Bewegungsabläufen und der entsprechende Wechsel von Anspannung und Entspannung sorgen für einen Kraftaufbau ohne größeren Muskelkater. Die „Grenze“ der Kraft, der Beweglichkeit oder Dehnbarkeit, an die wir dabei gehen, ist immer ein Ort, wo wir noch gut bleiben können ohne den Körper zu überfordern, ein Ort, den wir durch langsames, achtsames Herantasten finden können. Auf diese Weise sind wir im Einklang mit dem Körper anstatt mit ihm zu kämpfen, und das fühlt sich sehr gut an.

Nach und nach wird die Körperwahrnehmung immer deutlicher und klarer, auf der Matte und auch im Alltag. Wir "wohnen" mehr in unserem Körper und – weil wir mehr Rücksicht auf ihn nehmen – wird es in dieser Wohnung auch behaglicher.

Den Beobachtergeist kultivieren

Dabei entdecken und erkunden wir eine Instanz in uns, die manchmal „Beobachtergeist“ genannt wird: die Fähigkeit uns unserer selbst bewusst zu sein, das, was hier und jetzt geschieht, und insbesondere unsere inneren Reaktionen darauf bewusst zu erleben.

In Indien gibt es das Bild von den zwei Vögeln, die in einem Baum übereinandersitzen. Der Vogel auf dem unteren Ast baut ein Nest, er flattert geschäftig hin und her und sucht Baumaterial, hat viel zu tun und identifiziert sich mit allem, was er tut. Und auf dem Ast über ihm sitzt ein zweiter, der genauso ausschaut. Er beobachtet den geschäftigen Vogel die ganze Zeit, ohne sich zu identifizieren und ohne zu urteilen, wohlwollend und klarsichtig. Die beiden Vögel sind zwei Seiten unserer selbst. Der erste ist der Aspekt der Person, beschäftigt mit ihren Aufgaben und ihrem Platz im Leben, verwickelt in Ängste, Wünsche und Hoffnungen, identifiziert mit ihrem Körper, ihren Rollen und Zuschreibungen. Der zweite Vogel ist der Aspekt des Zeugen, ist reines Sein, begabt mit Bewusstheit und Einsicht. Er ist wie eine Tür, die uns mit dem Absoluten verbindet. Die Frage ist, welcher Seite unserer selbst wir mehr Aufmerksamkeit schenken.

Wenn wir zum Beispiel üben, auf einem Bein zu stehen, und uns das erst einmal nicht gelingt, kann es sein, dass Selbstkritik oder Ärger aufkommen. Wir vergleichen uns vielleicht mit anderen im Raum, die das viel besser können, und sind von uns enttäuscht. Alle diese Gedanken schießen uns durch den Kopf und bringen uns, sobald wir sie ernst nehmen, endgültig aus dem Gleichgewicht. Vielleicht kommen wir sogar zu dem Schluss, Yoga sei nichts für uns. In diesem Moment sind wir ganz der flatternde Vogel auf dem unteren Ast. Gehen wir stattdessen in die Haltung des Beobachters, so sind wir uns einer doppelten Herausforderung bewusst. Wir sehen, dass uns die Übung selbst nicht leichtfällt und wir registrieren gleichzeitig, dass Vergleich mit anderen uns unangenehme Gedanken und Gefühle verursacht. Es ist dieses klare, nicht-wertende Sehen des Zeugenbewusstseins, das es uns ermöglicht, die Aufmerksamkeit vom sozialen Vergleich abzuziehen und uns mit voller Konzentration, geduldig und ohne Erwartungen der Übung selbst zuzuwenden.

Auf der Matte über längere Zeit hinweg mit Körper, Atem und Geist präsent zu sein, kann helfen, auch im Alltag den Beobachtergeist zu stärken und etwas Distanz zu gewinnen von unserem alltäglichen „Geflatter“. Im obigen Beispiel haben wir mit dem sozialen Vergleich einen nicht besonders hilfreichen Aspekt unseres Verhaltens entdeckt und bewusst gemacht. Es kann dann leicht geschehen, dass wir dieses Verhalten auch im Alltag wiederentdecken und allmählich loslassen können.

Mit einem so klaren Blick präsent zu sein ist das Gegenteil von Ablenkung und gibt uns nicht automatisch ein Glücksgefühl. Oft ist es bequemer, einfach nach leicht erreichbaren Ablenkungen zu greifen, um sich zu entspannen. Deshalb heißt es im Yogasutra von Patanjali, dass der Yogi tapas braucht, den Willen und die Fähigkeit, das kleine Unbehagen zu ertragen, das entsteht, wenn wir nicht blind unseren bewährten (Ablenkungs-)Gewohnheiten folgen, sondern das tun, was wir als langfristig hilfreicher erkannt haben. Wenn wir es trotz dieser Anfangsschwelle schaffen, tatsächlich auf die Matte zu gehen, werden wir meistens auch kurzfristig belohnt und die Schwelle wird mit zunehmender Erfahrung immer kleiner.

Es gut sein lassen

Am Ende der Yogastunde ist in der Regel Entspannung angesagt. Auf der körperlichen Ebene ein angenehmes Gefühl des Loslassens herzustellen ist nach dem Yogatraining meist nicht mehr schwierig. Anders kann es mit den Gedanken sein. Vielleicht kommt im ruhigen Liegen erst die Erinnerung daran zurück, dass wir gerade in einer schwierigen Situation stecken, die mit Ärger, Trauer, Angst, Eifersucht oder anderen unangenehmen Gefühlen verbunden ist. Was wir dann brauchen, ist die Fähigkeit, es für diesen Moment gut sein zu lassen. Das hat nichts mit Verdrängen oder Schönreden zu tun. Die Situation ist wie sie ist. Wir sind vielmehr zutiefst damit einverstanden, dass das Leben uns immer wieder mit Schwierigkeiten konfrontiert, mit Konflikten und Verlusten. Vielleicht werden wir handeln müssen, um die Situation zu bereinigen, aber das Handeln hat seine Zeit und die Entspannung hat ihre Zeit. Es ist diese Art der Gelassenheit, die es uns ermöglicht, mitten im Chaos des Lebens einen Moment des vollkommenen Loslassens zu finden und dann mit dem seligen Gefühl von der Matte aufzustehen, das die Teilnehmerin beschrieben hat.