Besser schlafen mit Yoga?
von Michaela Kleber
"das nährendste Gericht beim Fest des Lebens"
(Shakespeare über den Schlaf im zweiten Akt von Macbeth)
In den vergangenen 200 Jahren haben die Menschen in den westlichen Industriegesellschaften allmählich ein kollektives Schlafdefizit entwickelt, so die Diagnose von Prof. Dr. med. Matthew Walker in Das große Buch vom Schlaf (deutsche Erstausgabe 2018). Die Einführung der Schichtarbeit Ende des 18. Jahrhunderts hat sicherlich damit zu tun. Aber die größte Rolle spielt wahrscheinlich die Erfindung der Glühbirne Ende des 19. Jahrhunderts, denn seit der allgemeinen Elektrifizierung können wir alle rund um die Uhr aktiv sein.
Schon auf dem Umschlag macht der Verlag deutlich, was der Autor vor allem vermitteln möchte: Die enorme Bedeutung des Schlafs – beste Vorbeugung gegen Alzheimer, Krebs, Herzinfarkt und vieles mehr. Und tatsächlich ist die aufgeführte Liste der Wirkungen von gesundem Schlaf beeindruckend: Nach Länge und Qualität ausreichender Schlaf fördert Lernerfolg, Gedächtnisleistung, Konzentration, motorische Leistung und Kreativität. Schlafen reduziert ungesunde Essensgelüste und senkt das Risiko von Krebs, Demenz, Herzinfarkten, Schlaganfällen, Diabetes, Sportverletzungen und Autounfällen. Nicht zuletzt lässt uns gesunder Schlaf weniger niedergeschlagen und weniger ängstlich sein. Wer im Einzelnen verstehen möchte, wie der Schlaf diese und andere Wunder vollbringt, dem sei dieses leicht verständlich und unterhaltsam geschriebene (und gut übersetzte) Buch wärmstens empfohlen.
Schlafe ich genug?
An Schlafmangel kann man sich gewöhnen. Wir merken dann gar nicht mehr, dass wir unsere geistigen und körperlichen Möglichkeiten nicht voll ausschöpfen können. Und wer sich nicht ausdrücklich damit beschäftigt, kommt wahrscheinlich auch nicht auf die Idee, dass die eigenen gesundheitlichen Probleme mit chronischem Schlafmangel zu tun haben könnten.
Woher weiß ich dann also, ob ich genug schlafe? Zwei einfache Fragen können hier weiterhelfen: Wache ich morgens häufig von selbst zur gewünschten Zeit auf (ohne Wecker oder kurz vor dem Läuten des Weckers) oder weckt mich (fast) immer der Wecker? Fühle ich mich vormittags frisch, ausgeruht und im Vollbesitz meiner Kraft, auch ohne Koffein zu Hilfe zu nehmen?
Wie viel Schlaf genug ist, ist individuell unterschiedlich. Wer glaubt, regelmäßig mit weniger als 7 Stunden auszukommen, kann sich vielleicht als ersten Anhaltspunkt die beiden genannten Fragen stellen. Wer mehr schläft und trotzdem beide Fragen verneinen muss, kann versuchen, die Schlafqualität zu verbessern.
Was ist Schlafhygiene?
Unter diesem Stichwort findet man im Internet und in Büchern eine Fülle von Hinweisen zu einfachen Verhaltensänderungen, die bewirken sollen, dass Länge und Qualität des Schlafs sich verbessern. Sortiert man sie nach ihrer Begründung, so lassen sich die meisten davon in fünf Gruppen einteilen:
1. Den Schlafdrang mit dem zirkadianen Rhythmus koordinieren
Das klingt erst einmal komplizierter als es ist: Der zirkadiane Rhythmus ist unsere innere 24-Stunden-Uhr, die uns – neben vielen anderen Dingen – auch sagt, wann es Zeit ist zu schlafen. Der chemische Stoff, der dafür verantwortlich ist, heißt Melatonin und wird vom Tageslicht beeinflusst. Ob wir dann, wenn es Zeit ist, aber auch schlafen können, hängt vom sogenannten Schlafdrang oder Schlafdruck ab, den ein zweiter chemischer Stoff anzeigt, das Adenosin, dessen Spiegel ansteigt, solange wir wach sind, und der im Schlaf wieder abgebaut wird. Wir müssen also dafür sorgen, dass der Schlafdrang auch wirklich zur Schlafenszeit am größten ist. Unser Umgang mit dem (Tages-)Licht fällt in diese Gruppe von Hinweisen: Zum Beispiel ist es geschickt, sich morgens als erstes dem vollen Tageslicht auszusetzen, bzw. nachts, wenn wir wach sind, kein Licht anzumachen. Der wichtigste Rat aus dieser Gruppe ist aber, nach Möglichkeit täglich zu einer bestimmten, immer gleichen Zeit ins Bett zu gehen und auch zur gleichen Zeit aufzustehen.
2. Dem Körper nicht (zur falschen Zeit) Substanzen zuführen, die den Schlaf stören können
In diese Gruppe fallen alle Hinweise, welche mit Essen, Trinken und Rauchen zu tun haben. Hier betrifft der vielleicht wichtigste Rat das Vermeiden von Koffein (mindestens in der zweiten Tageshälfte), weil es die Wirkung des Adenosins unterdrückt und erst nach vielen Stunden wieder abgebaut ist. Anders ausgedrückt: Es macht uns nicht wirklich wach, sondern es verhindert, dass wir den vorhandenen Schlafdruck wahrnehmen können, und trägt damit wesentlich zu dem oben erwähnten kollektiven Schlafmangel bei.
3. Zwischen dem Alltag und dem Zu-Bett-Gehen eine zeitliche Pufferzone einrichten
Diese Gruppe von Vorschlägen zielt darauf ab, dass wir dem autonomen Nervensystem helfen, aus Erregung und Stress heraus und in den Ruhemodus hinein zu finden. Dabei können Werkzeuge aus dem Yoga helfen (siehe unten), aber auch andere Bestandteile eines individuellen Abendrituals, wie ein warmes Bad oder ein beruhigender Duft.
4. Eine gute Schlafatmosphäre schaffen
Darunter fällt alles, was wir tun können, um den Schlaf nicht zu stören: das Abdunkeln des Zimmers, das richtige Absenken der Raumtemperatur, ein gutes Einvernehmen mit feierlustigen Nachbarn, ein gutes Bett, die Klärung der Frage, ob wir besser alleine oder zu zweit schlafen, usw.
5. Und nicht zuletzt: ausreichend Bewegung während des Tages
Sich im Lauf des Tages viel zu bewegen trägt dazu bei, dass der Körper-Geist abends ein Bedürfnis nach Ruhe hat. Gewarnt wird allerdings vor allzu anstrengendem Sport in den letzten Stunden vor dem Zu-Bett-Gehen (siehe Punkt 3!).
Wie kann Yoga dazu beitragen, dass ich gut schlafe?
Natürlich kann die Asana-Praxis Teil unserer Bewegungsgewohnheiten sein. Tagsüber darf sie durchaus kräftig und fordernd sein, abends – insbesondere in der letzten Stunde vor dem Zu-Bett-Gehen – eher sehr sanft und ruhig, mit gehaltenen Asanas, gerne auch mit Unterstützung durch Polster.
In dieser abendlichen Pufferzone zwischen den Alltagsaktivitäten und dem Schlaf ist alles passend, was den Körper entspannt, die Gedanken beruhigt und im autonomen Nervensystem den parasympathischen Teil in den Vordergrund bringt, der für die Erholung zuständig ist.
Schon die Art und Weise, wie wir in der Bewegung auf der Matte atmen, kann dazu beitragen: Lassen wir zum Beispiel die Einatmung frei und verlängern bewusst die Ausatmung, so erreichen wir auch in der Bewegung in kurzer Zeit eine Beruhigung des Nervensystems. Diese Verlängerung des Ausatmens kann mit Hilfe einer sehr sanften Ujjayi-Technik geschehen oder durch langsames Ausblasen durch die Lippen oder durch einen feinen Summton.
Auch als reine Atemübung im Sitzen oder Liegen bietet sich die Betonung der Ausatmung an: Wir können zum Beispiel mit 3 Sekunden Einatmung und 6 Sekunden Ausatmung beginnen. Nach jeweils drei Atemzügen steigern wir die Länge der Atmung auf 4/8, 5/10 und so weiter, solange der Körper den Rhythmus bequem einhalten kann. Danach ruhen wir und schauen innerlich zu, wie der Körper ganz von selbst schrittweise zu seinem normalen Rhythmus zurückkehrt.
Wunderbar eignet sich auch der bekannte Body-Scan zur Entspannung am Abend: Der Geist wandert in einer bestimmten Reihenfolge, die man sich selbst aussuchen kann, langsam durch den Körper, verweilt bei jedem Körperteil ein wenig und übt sich darin, möglichst klar und detailreich zu spüren. Eine einfache Anleitung dazu ist in meiner Mediathek zu finden und in vielen Varianten im Internet. Man braucht eine solche Anleitung vor allem am Anfang; später vielleicht nur noch in besonders belasteten Situationen, in denen es schwer ist, den Geist aus eigener Kraft zur Ruhe zu bringen. Eine Mischung aus Body-Scan und verschiedenen Visualisierungen ist Yoga Nidra, der yogische Schlaf. Auch dafür findet man leicht Beispiele im Internet. Solche Übungen sind auch bei Schwierigkeiten mit dem Wieder-Einschlafen in der Nacht hilfreich: Selbst wenn wir dabei nicht einschlafen, kommen wir mindestens in eine sehr tiefe Entspannung. Damit erholen wir uns auf jeden Fall besser als beim Hin- und Herwerfen auf dem Bett, begleitet von dem Gedanken, dass wir jetzt unbedingt schlafen müssten.
In der Meditation, ob mit Fokus auf dem Atem oder im offenen Gewahrsein ganz ohne Objekt, üben wir das einfache Da-Sein in der Stille. Zwar kommen Sorgen und ungelöste Probleme fast unweigerlich hoch. Indem wir aber immer und immer wieder ins Spüren bzw. zum offenen Gewahrsein zurückkehren, lernt unser Gehirn allmählich, Gedanken und Gefühle einfach sein zu lassen und sie weder zu füttern noch zu bekämpfen. In der Stille bringen wir den Geist nach Hause, vom Denken ins Spüren, vom Zwecke-Verfolgen in die Zweckfreiheit, von den Alltagsinhalten in eine tiefere Ebene unseres Seins, wo wir alles, was uns an diesem Tag auf der Alltagsebene beschäftigt und bedrängt hat, für diesen Abend und diese Nacht gut sein lassen und - wenn uns diese innere Geste zur Verfügung steht - einem Größeren zu Füßen legen.