Bleib gesund!
von Michaela Kleber
Gesund zu bleiben, das wünschen sich viele Menschen gegenseitig meistens zum Geburtstag oder zu Neujahr. Seit dem Frühjahr 2020 ist „bleib gesund“ zu einer alltäglichen Grußformel geworden, ob am Telefon oder am Ende eines Emails.
Doch was genau meinen wir eigentlich mit diesem Wunsch?
Darauf möchte ich eine Antwort aus Sicht des Yoga geben:
In der altindischen Sprache Sanskrit ist Svastha der Begriff für umfassende Gesundheit. Man findet dafür Übersetzungen wie gesund, wohlauf, guter Dinge, im Gleichgewicht. Auf den ersten Blick fühlt man sich an die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erinnert. Danach ist Gesundheit ein „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und Gebrechen“.
Schaut man sich aber das Wort Svastha ein wenig genauer an, so findet man darin noch eine tiefere Bedeutung: Sva heißt das Selbst und stha heißt stehen, sich befinden. Svastha meint also wörtlich im Selbst befindlich, und das erklärt weitere Übersetzungen wie bei sich selbst zuhause sein oder sich in seinem natürlichen Zustand befinden.
Mit dem Selbst ist im Yoga unser eigentliches Wesen gemeint. Doch anders als in der modernen westlichen Welt versteht man darunter nicht ein individuelles Wunschbild unserer Person mit ihren physischen und psychischen Eigenheiten und ihrem Platz in der Gesellschaft. Vielmehr ist das Selbst die Bewusstheit, der weite Raum, in dem unsere veränderlichen Gedanken und Gefühle, Rollen und Selbstbilder, Erlebnisse und Reaktionen kommen und gehen. Diese reine Bewusstheit ist das, was übrigbleibt, wenn wir für einen Moment darauf verzichten, in unsere Erinnerungen, Pläne, Vorstellungen und Emotionen einzutauchen, wenn wir einfach nur da sind und bewusst wahrnehmen ohne zu benennen und zu bewerten und ohne auf das Wahrgenommene zu reagieren. Dieser innere Raum der Bewusstheit bleibt als einziges über alle Lebenssituationen und Lebensalter hinweg unverändert und verbindet uns miteinander und mit der Unendlichkeit.
Yoga üben heißt sich immer wieder dieser reinen Bewusstheit zuwenden. Wir stärken und entspannen unseren Körper, wir beruhigen unseren Atem und unsere Gedanken, damit wir – und sei es auch nur für ein paar Augenblicke – den stillen weiten Raum in uns wiederfinden und daraus die Kraft schöpfen können, mit der wir unser Leben gestalten. Das bunte, manchmal wunderschöne und oft aufreibende Treiben der Welt, an dem wir beteiligt sind, und der Raum der Bewusstheit, in dem es sich abspielt, existieren ja immer gleichzeitig. Je geschmeidiger wir in unserer Wahrnehmung zwischen beiden Aspekten der Wirklichkeit hin- und hergehen können, desto sicherer sind wir im Selbst gegründet und desto klarer wird uns, dass das unser natürlicher Zustand ist, dass wir da zuhause sind und von da aus mit Gelassenheit und Freiheit in der Welt mitmischen können.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen für die Weihnachtszeit und darüber hinaus gute Gesundheit!