Yogapraxis aktuell
12. Januar 2025
Liebe Yoga-FreundInnen,
dieser Newsletter ist eigentlich nur eine Ergänzung zum letzten, der erst ein paar Tage zurückliegt. Ich habe lange gebraucht, um einen Text zum Yogatherapietag Mit Wut und Ärger umgehen lernen zu schreiben. Das Thema ist ja durchaus groß genug, um ein Buch darüber zu verfassen. Nun ist der Text da, und ich bitte um Nachsicht für seine Länge. Vielleicht motiviert er ja den einen oder die andere von euch, sich am 2. Februar mit Markus Satler und mir zusammen in dieses Thema zu vertiefen. Herzlich eure Michaela
Veranstaltungshinweise
- Sonntag, 19. Januar 2025, 09:00-11:00 Uhr, Yoga und Meditation am Sonntagmorgen mit Michaela Kleber und Rudi Matzka
- Sonntag, 2. Februar 2025, 08:30-16:00 Uhr, Yogatherapietag: Mit Wut und Ärger umgehen lernen mit Michaela Kleber und Markus Satler
- Freitag, 14. Februar 2025, 18:00-19:15 Uhr, Meditation am Freitagabend mit Michaela Kleber
- Freitag, 28. Februar 2025, 18:00-19:30 Uhr, Übungsstunde: Yoga für Kiefer und Nacken mit Michaela Kleber
- Wochenende 10.-12. Oktober 2025 (Freitag 18:00 Uhr – Sonntag 13:00 Uhr): Auszeit – Loslassen und auftanken mit Yoga und Meditation mit Rudi Matzka und Michaela Kleber in Bernried am Starnberger See.
Thema: Ärger und Wut konstruktiv nutzen lernen
Der schlechte Ruf der Wut in unserer Kultur hat durchaus Gründe: Jähzorn, Wut und Hass verbinden wir mit Unberechenbarkeit, Rücksichtslosigkeit und Gewaltbereitschaft, alles Phänomene und Verhaltensweisen, die das friedliche Zusammenleben in kleinen und großen menschlichen Gemeinschaften erschweren und bedrohen und gegen die wir uns und andere schützen möchten.
Auch in den östlichen Weisheitslehren gelten Ablehnung und Zorn in allen Formen als eine wesentliche Ursache des Leidens und als Hindernis für die Befreiung vom Leiden. Hier liegt die Betonung nicht auf dem gesellschaftlichen Wohlverhalten, sondern auf dem Schaden, den wir uns mit dem Kultivieren von Ärger, Zorn, Ressentiment, Antipathie, Feindschaft, Verbitterung, Groll, Wut und Hass selbst zufügen. Buddha werden die folgenden Worte zugeschrieben: „Groll mit uns herumtragen ist wie das Greifen nach einem glühenden Stück Kohle in der Absicht, es nach jemandem zu werfen. Man verbrennt sich nur selbst dabei.“
In der modernen Psychologie hingegen wird betont, dass es keine gute Idee ist, Wut zu unterdrücken. Unterdrückte Wut geht nicht einfach weg, sie schwelt im Geheimen und sucht sich andere Ausdrucksformen. Die einen werden menschenfeindlich und misstrauisch; andere richten Aggression und Geringschätzung gegen sich selbst und entwickeln depressive Züge; bei wieder anderen entlädt sich jahrelang unterdrückte Wut in einem plötzlichen Gewaltausbruch.
Wut, so heißt es, ist erst einmal eine normale, gesunde Emotion, ausgelöst durch Erfahrungen und Situationen, die wir als bedrohlich, missachtend, verletzend, schädlich oder ungerecht wahrnehmen, ob für uns selbst oder für andere, die uns wichtig sind. Biologisch betrachtet macht die Wut uns körperlich und energetisch bereit für Kampf und Flucht, das ist ihre evolutorische Bedeutung. Doch auch wenn es im heutigen Alltag nur selten im physischen Sinn um Kampf oder Flucht geht, hat die Wut eine Reihe von wichtigen Funktionen, die es zu nutzen gilt: Sie macht uns aufmerksam auf Grenzüberschreitungen und lässt uns damit auch die eigenen Grenzen deutlicher wahrnehmen. Wut kann auch ein Weg sein, um sich nicht als hilfloses Opfer einer Verletzung oder einer Bedrohung zu fühlen, nicht in Depression zu versinken sondern ins Handeln und in die Selbstwirksamkeit zu kommen. Sie kann uns auf etwas hinweisen, was geändert werden muss, und gibt uns gleichzeitig die Energie, die wir für diese Veränderung brauchen. Ein gutes Beispiel ist die natürliche Aggressivität von Teenagern, die sich von den geliebten Eltern lösen müssen, um erwachsen zu werden und in dem Prozess nicht selten eine Menge negativer Energie aktivieren müssen, um das zu schaffen. Genauso kann Wut uns helfen, eine ungesunde Beziehung oder einen ungesunden Arbeitsplatz zu verlassen, oder durch den Zusammenschluss mit Gleichgesinnten, durch Protest und Innovation zu positiven gesellschaftlichen Veränderungen beizutragen.
Nicht Ärger und Wut selbst sind also das Problem, sondern unser Umgang damit. Wie können wir Ärger und Wut konstruktiv nutzen, ohne sie zu unterdrücken oder „wegmeditieren“ zu wollen und gleichzeitig ohne bei uns selbst und anderen damit Schaden anzurichten? Weil es immer auch auf die individuelle Situation und auf die psychische Verfasstheit der Betroffenen ankommt, kann ich hier nur ein paar sehr allgemeine Antworten andeuten.
Innere Arbeit: die Gefühle fühlen ohne sie zu füttern
Um meine Wut konstruktiv nutzen zu können, muss ich sie erst einmal fühlen, erleben, sie mir bewusst machen. Da ist eine mehr oder weniger heiße Welle von Stresshormonen und deren Wirkung auf den Körper, die ich spüren kann, und da ist die Geschichte, auf die ich mit Wut reagiert habe. Wenn ich die Wut nicht wegdrücken, mich aber auch nicht in sie hineinsteigern möchte, ist es hilfreich, bewusst auf die Körperempfindungen zu achten und die Geschichte erst einmal fallenzulassen, darauf zu verzichten, sie immer und immer wieder innerlich auszuschmücken. Das ist die Art und Weise, wie man in der Meditation mit Ärger (und mit jedem starken Gefühl) umgehen kann. Und es ist wunderbar, auch jenseits des Meditationskissens jede aufkommende Wut mit einer solchen Meditation zu verbinden und sei es nur für einen kurzen Moment.
Innere Arbeit: die Botschaft verstehen
Wenn sich der erste Sturm etwas beruhigt hat, kann ich versuchen, fühlend herauszufinden, was wirklich hinter der Wut steckt. Die äußere Geschichte ist ja erst einmal nur ein Auslöser. Gibt es einen alten Schmerz, an den das Ereignis gerührt hat? Wehrt sich alles in mir gegen eine Ungerechtigkeit oder Missachtung mir selbst oder anderen gegenüber? Sind meine Grenzen zum soundsovielten Mal verletzt worden? Überdeckt die Wut Trauer über einen Verlust? Habe ich eigentlich ein schlechtes Gewissen und suche nun die Schuld bei jemand anderem? Unendlich viele Möglichkeiten! Um die Botschaft der Wut zu verstehen, ist nicht so sehr das Nachdenken hilfreich; es birgt immer die Gefahr, dass man damit nur die Geschichte ausschmückt. Es ist mehr ein stilles, achtsames und nicht-urteilendes Damit-Sein, ein inniger und mitfühlender Kontakt mit dem eigenen Herzen, in dem die eigentlichen inneren Gründe für die Wut sich zeigen können.
Äußere Arbeit: ins Handeln kommen
Von diesem Ort der inneren Stille aus wird das angemessene Handeln nach außen oft sehr klar. Vielleicht muss ich einem übergriffigen Verhalten energisch Einhalt gebieten. Vielleicht muss ich meinen Ärger deutlich zeigen, um mein Gegenüber aufzurütteln. Möglicherweise muss ich üben, mich früher und klarer auf angemessene Weise abzugrenzen. Oder es geht darum, mit jemandem in Verhandlungen zu treten, um die gegenseitigen Interessen in Balance zu bringen. Vielleicht muss ich mich jemandem anvertrauen oder Rat suchen, um etwas nicht allein tragen zu müssen. Vielleicht muss ich mich bei jemandem entschuldigen. Oder es gilt einen Weg zu finden für ein soziales oder politisches Engagement, um im Außen etwas zu verändern. Und natürlich kann es auch sein, dass es im Außen gar nichts zu tun gibt.
Nelson Mandela hat für das Verhältnis zwischen innerer und äußerer Arbeit ein gutes Beispiel gegeben: Für seine innere Arbeit steht das folgende Zitat: „Als ich aus der Zelle durch die Tür in Richtung Freiheit ging, wusste ich, dass ich meine Verbitterung und meinen Hass zurücklassen musste, oder ich würde mein Leben lang gefangen bleiben.“ Gleichzeitig hat er als Präsident Südafrikas dafür gesorgt, dass die juristische Aufarbeitung der Verbrechen des Apartheid-Regimes beginnen konnte.
Friedlichkeit kultivieren
Je selbstverständlicher und klarer der Umgang mit den eigenen Grenzen und Werten, desto weniger brauchen wir Wut, um uns zu schützen oder ins Handeln zu kommen. Das Idealbild der Yogaphilosophie und des Buddhismus ist nicht ein Mensch, der seine Gefühle unterdrückt, sondern ein gelassener Mensch, der weder sein Habenwollen und seine Gier füttert, noch das Nichthabenwollen, die Wut und den Hass.
Es gibt viele meditative Methoden, um zu mehr Gelassenheit zu finden. Die Grundlage ist immer die Schulung der Achtsamkeit, die hilft, das Aufkommen von Wut bewusst zu erleben und in den oben beschriebenen Prozess der Verarbeitung einzutreten, anstatt sie ungefiltert an anderen auszulassen oder sie zu unterdrücken. Wenn wir einen Menschen kennen, der in der Lage ist, Geduld zu üben, Dinge nicht persönlich zu nehmen, und ohne jede Feindseligkeit angemessen zu handeln, dann können wir uns innerlich mit dem Geist dieses Menschen verbinden und versuchen, seine innere Verfasstheit nachzufühlen. In Indien gibt es zu diesem Zweck viele Geschichten über Heilige. Aber die Person, mit deren Geist wir uns verbinden, braucht keine Heilige zu sein, um diese Fähigkeiten in uns wachrufen zu helfen.
Heilsame Geisteszustände wie Zufriedenheit, Geduld, Friedlichkeit und Herzensgüte werden durch spezielle Meditationen kultiviert; durch häufiges Erinnern entstehen neue Gewohnheiten, welche die alte Reaktivität ersetzen und überflüssig machen. Die Zeiten, in denen wir uns eng und angespannt fühlen, werden weniger und wir kommen deutlicher in Verbindung mit unserer natürlichen inneren Weite und Freudigkeit. Und wenn wir irgendwo auf dem Weg ein negatives Gefühl unterdrückt haben, wird es sich melden und uns Gelegenheit geben, daraus zu lernen. Der Weg zur Befreiung ist kein Bypass um die Emotionen herum, sondern führt mitten durch sie hindurch.